Dienstag, 6. Dezember 2016

"Es tut mir Leid, dass es vielleicht nach einer Schwalbe aussah."

Alle Probleme des Modernen Fußballs (also die Probleme auf dem Feld) wurden direkt nach dem Spiel wunderbar von Timo Werner auf den Punkt gebracht:

"Es tut mir Leid, dass es vielleicht nach einer Schwalbe aussah."

Klar, mittlerweile hat er selber eingesehen, dass es nicht nur nach einer Schwalbe aussah, sondern wirklich eine war. Und um die Pointe vorwegzunehmen: Dass die DFL ihn jetzt nicht sperrt, ist der dümmstmögliche Ausgang.

Aber... im Endeffekt... also das schwieriger am Modernen Bundesligafußball ist ja: Wenn er sich gleich fallen lässt, wird über die Aktion ganz anders diskutiert. Dann jammern die Leipziger, dass es da keinen Elfmeter gab und die Schalker geben hinterher zu, in der Situation durchaus Glück gehabt zu haben...

Und das ist das unfassbar schwierige an der Situation: Der "Zweikampf im Grenzbereich des Regelwerkes" zwischen Werner und Naldo kommt in der Form jedes Spiel vor. Und in verdammt vielen Fällen geht der Stürmer dann zu Boden und gönnt sich die Standartsituation.
Werner hat aber eindrucksvoll nachgewiesen. dass man da gar nicht zwingend zu Boden gehen muss, sondern auch einfach weiter spielen kann.
Und seid mal ganz ehrlich: Den Satz "Da nimmt er den Kontakt dankbar an" oder noch schlimmer "da sucht er den Kontakt um einen Freistoß zu schinden" hört ihr in jeder Liveübertragung.
Deswegen ist ja Werners Aussage so entlarvend. Er entschuldigt sich nicht dafür, dass er zu Boden geht, obwohl es keine physikalische Notwendigkeit gibt, zu Boden zu gehen. Obwohl dass doch die Form ist, in der man eigentlich Fußball spielen sollte. Er entschuldigt sich dafür, dass es dieses Mal allen aufgefallen ist, dass er hätte weiter spielen können.

Und der Fakt, dass Bundesligaprofis jede Gelegenheit nutzen um zu Boden zu gehen, macht es einem Schiedsrichter quasi unmöglich zwischen fairem Zweikampf und Foulspiel zu unterscheiden. Und es macht den Job der Verteidiger ebenfalls quasi unmöglich. Also dass es da nicht wesentlich häufiger zu auffälligen Fehlentscheidungen kommt, ist die eigentliche Sensation.

Und dass das eigentlich ein ganz normaler Vorfall war... nur halt schlimmer als sonst, weil es Elfmeter gab... hat uns an diesem Wochenende Darmstadt bewiesen. Deren gesamte Offensivphilosophie basierte darauf in der gegnerischen Hälfte irgendwie einen Freistoß zugesprochen zu bekommen. Das Ergebnis: Darmstadt ist 24 Mal in 90 Minuten gefoult worden... ohne jemals gefährlich in Strafraumnähe aufgetaucht zu sein. Die Hamburger kommen ebenfalls auf "stolze" 16 zugesprochene Freistöße... und all das ohne Abseits.
Und die Zahlen wären nur noch viel schlimmer geworden, wenn Schiedsrichter Guido Winkmann nicht irgendwann die Lust daran verloren hätte jede Minute einen Freistoß zu geben.
Was ihm dann als "ließ in der Zweikampfbewertung eine klare Linie vermissen" ausgelegt wird. Aber Winkmann wird einfach irgendwann die Strategie der Darmstädter durchschaut haben. Das war zumindest die Auslegung des Sky Livekommentators. (Und ja, ich habe dieses Spiel Live gesehen und Barca - Real ausfallen lassen... irgendwie hab ich die falschen Prioritäten.)
Eine klare Linie in Zweikampfbewertungen zu finden, wenn man sich bei jedem Aufeinandertreffen zweier Profis irgendwie getäuscht fühlen muss, ist aber auch verdammt schwierig.

Darmstadt ist dabei nicht mal einen Vorwurf zu machen. Der FC Ingolstadt hat es schließlich letzte Saison zur Perfektion vorgeführt, wie man mit genau dieser Spielweise die Klasse hält. Und Darmstadt hat halt auch genau genommen keine anderen Möglichkeiten. Das ist ihre einzige Chance.

Und ja, im Wesentlichen ist Ingolstadt nichts anderes Vorgeworfen als Werner jetzt. Wir reden von genau demselben Symptom, nur war der Ausschlag dieses Mal heftiger. Wenn man das Symptom bekämpfen will, darf man aber nicht nur auf die Extrembeispiele achten.

Der faszinierendste Plot des Wochenendes ist allerdings, dass Ralf Fährmann dem Werner abgekauft hat, dass er ein fairer Sportsmann ist...
Also genau genommen ist das, was Werner da macht, richtig dreist. Denn genau genommen... will er nicht nur den Elfmeter schinden, sondern auch noch den Platzverweis für Naldo sehen...
Krass oder? Aber dem kann man nicht widersprechen. Deswegen wird Bastian Dankert auch die Ansage von Werner, dass Fährmann ihn nicht berührt hat, ignoriert haben. Denn wenn er das Foulspiel Naldo zuschiebt, muss er dem nach Fifa Regeln, an die wir uns ja alle halten müssen, zwingend Rot geben. Thumbs up für und von Werner...

Wenn der wirklich ein vom schlechten Gewissen getriebener fairer Sportsmann gewesen wäre... hätte er einen Chicharito gebaut. Oder Kick it like Beckham gespielt... Und hinterher zugegeben, dass er in dem Moment wo angeblich Fährmann das Foul begangen hat, erkannt hat, dass das ein geschundener und kein verdienter Elfmeter war.
Das Unrechtsbewusstsein von Werner war aber auf Erich Honecker Niveau: Er hat sich so sehr im Recht gesehen und war damit so absolut überzeugt davon, dass es absolut richtig ist, sich im Strafraum bei jeder Gelegenheit fallen zu lassen, dass er den Elfmeter selber eiskalt einlocht...

Also wenn er wenigstens nen anderen hätte schießen lassen... aber nein, er macht das selbst...

Das ist ja genau das eigentliche Problem. Denn es zeigt wie sehr einen das "sich foulen lassen" in der DNA der Fußballprofis steckt.

Weil dieses "Ich spüre einen Kontakt, ich lasse mich fallen" vorm 16er ständig passiert. Und dann... kommen die ganz schlauen Vollidioten und sagen "Dann muss der Schiedsrichter doch den Spieler befragen!" Leute... ehrlich...
Ein Schiedsrichter wird pro Spiel garantiert 10 Mal bewusst getäuscht. Soll er danach wirklich jedes Mal zum Spieler gehen und ihn fragen, ob es wirklich weh tut? Wo er denn angeblich getroffen worden sei, damit er das mit seiner Wahrnehmung abgleichen kann? Vor allem, wenn er doch in 95% der Fälle eh ein "natürlich wurde ich getroffen, sonst würde ich mich doch nicht so auf den Boden rollen, guck mal das blutet sogar!!! Ok, es blutet nicht, aber es braucht ganz dringend Eisspray!!!"
Und ja, Fußballprofis versuchen ständig, die Schiedsrichter zu täuschen. Dann eine ehrliche Antwort auf eventuelles Nachfragen zu erwarten ist unfassbar naiv.

Und ganz ehrlich... den Profis mache ich da gar keinen Vorwurf. Das sind halt Profis. Es steht quasi in deren Jobbeschreibung, dass sie alles versuchen müssen, um Spiele zu gewinnen. Und Freistöße in aussichtsreicher Position sind halt zu gut um "Nein" zu sagen, wenn man einen leichten Tritt spürt.

Das aller sinnloseste ist allerdings... wenn dann die sachlichen Experten nach Platzverweisen schreien. Im Fall vom Chefexperten Karlheinz Wild sogar "überall". Großartige Idee...
Aber ganz ehrlich: Glaubt ihr irgendein Schiedsrichter hat den Arsch in der Hose, einen Arjen Robben wegen eines übertriebenen Fallers direkt vom Platz zu stellen? Vor allem, wenn er die wesentlich einfachere Option hat, einfach doch das Foulspiel gesehen zu haben? Wird nicht passieren.
Klar, als kleiner Pissverein... da kann es dir passieren, das ausgerechnet an deinem Freistoß raus holen ein Exempel statuiert wird. Aber einen Nationalhelden wie Mario Götze vom Platz stellen, weil er im Mittelfeld mit einem theatralischen Umfaller das Spiel beruhigen will? Und ja, genau das fordert unser Chefreporter. Geile Idee. Ich sehe nicht, wie das schief gehen könnte...

Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie ein geläuterter Uli Hoeneß eskaliert, wenn einer seiner Spieler fürs Freistoß schinden Rot kriegt. Also klar, ich würde das mega gerne sehen. Aber selbst wenn die Regeln in die Richtung geändert werden... dass das wirklich passiert und durchgesetzt wird... eher steigt der HSV ab...

Und ja... bei Konsequenter Regelauslegung endet jedes Spiel mit 10 Elfmetern (nach Regelwerk kannst du nach jeder Ecke einen geben, so viel wie da gezogen und gezerrt wird) und in einem lustigen 8 gegen 8, weil pro Mannschaft 3 Spieler für konsequent geahndete Taktische Fouls und/oder fürs Reklamieren des Platzes verwiesen wurden. Wenn es dann noch für jede "Schwalbe" Rot gibt, muss das Spiel nach 70 Minuten abgebrochen werden...

Es wäre einer dieser Dinge, die man ins Regelwerk schreiben kann, die dann aber niemals umgesetzt werden würden... da kann man sich das Ganze auch sparen...



Die wirklich spannende Frage ist ja... wie schafft man das ganze ab. Lustiger Weise kann man da einiges von der NBA lernen. Die haben, als es ihnen zu auffällig wurde, eine Anti-Flopping-Rule eingeführt. Und wer wegen Schauspieleinlagen überführt wird, kriegt eine technisches Foul und eine Geldstrafe. Und beim 5. Mal wird man dann gesperrt.
Nun muss man an der Stelle darauf hinweisen, dass eine NBA Saison 82 Spiele dauert. Das relativiert dann die 5 Schwalben pro Jahr etwas.
Aber: Die NBA kann (und lässt) die Spiele hinterher von ihren eigenen Experten analysieren. Also selbst wenn der Schiedsrichter in der Tatsachenentscheidung auf deine Schwalbe rein fiel, wirst du hinterher zur Kasse gebeten. Und wenn es deine 5. Schwalbe ist, wirst du gesperrt.

Das wäre genau die funktionierende Lösung fürs Problem: Eine unabhängige, unparteiliche Fußball-Ethik-Kommission (weil wir davon noch nicht genug haben), die sich mit genau diesem Schwerpunkt die Spiele anguckt. Und hinterher sagt: Die Aktion von Spieler X in Minute 32 wurde von uns als Schwalbe bewertet. Das ist seine 4. Schwalbe in dieser Saison. Er darf damit dieses Mal 35.000 Euro an den Bund der Schiedsrichter spenden. Er ist damit bei insgesamt 120.000 Euro. Das nächste Mal sind es 45.000 und er wird für ein Spiel gesperrt. Die Schiedsrichter der Kreisklassen des Landes bedanken sich für die goldenen Duschvorhänge, die von dem gespendeten Geld für sie gekauft werden konnten.

Wenn das eingeführt werden würde (und in den Köpfen der Spieler angekommen ist) würde Timo Werner gar nicht mehr auf die Idee kommen, sich auf Grund des leichten Kontakts von Naldo fallen zu lassen. Er würde nur noch umfallen, wenn er wirklich getreten worden ist... So, wie es eigentlich selbstverständlich sein sollte.

Oh und das andere ganz große Problem könnte man auch noch beheben: Man kann die persönlichen Strafen und die daraus eventuell resultierenden Sperren einfach wieder streichen. Die Gelbe Karte von Fährmann kam durch einen erfolgreichen Täuschungsversuch zustande. Es ist Fährmanns 2. in dieser Saison... wenn er weiterhin in diesem Tempo Gelbe Karten sammelt, könnte er am Ende echt für ein Spiel gesperrt werden. Während der eigentlich zu bestrafende Spieler nichts zu befürchten hat... So sieht Gerechtigkeit auf dem Fußballplatz aus. Und ja, ich werde darauf zurück kommen, falls Fährmann diese Saison noch gesperrt wird.

Und ja, bei einem Torwart klingt das noch relativ absurd... aber stellt euch mal vor Naldo hätte dafür wirklich Rot gesehen... und wäre noch für ein weiteres Spiel gesperrt worden, in dem Werner dann über den Platz jagen darf.

In dem Moment fällt mir auch die Effektivste Bestrafung der Ethikkommission ein: Der Spieler bekommt einfach die Strafe, die er durch seine Schauspieleinlage ausgelöst hat. Wer also eine Tätlichkeit an sich vortäuscht, obwohl der Gegner einen nicht mal berührt, kriegt dann hinterher die 4 Spiele Sperre, die dem angeblichen Täter zugestanden hätten. Wer eine Rote Karte für eine Notbremse erschindet, kriegt selber das entsprechende Spiel Sperre aufgebrummt. Und wer einfach nur ein taktisches Foul verkauft, kriegt dafür selber nachträglich das Gelb, welches dem Gegenspieler unter die Nase gehalten wurde. Nur so nen spontaner Gedanke.

Oder man gibt einfach für jeden Täuschungsversuch, egal ob direkt vor Ort oder Hinterher in der Analyse, eine Gelbe Karte für das Strafenkonto des Spielers....
Wobei dann als nächstes die Vorstellung, wie 4 Darmstädter Profis auf ein Mal wie vom Blitz getroffen im Mittelkreis zu Boden gehen um sich so ihre 5. Gelbe Karte abzuholen und gegen die Bayern gesperrt auszufallen... genau genommen einfach nur göttlich ist...

Ich will mir jedenfalls gar nicht ausrechnen, wie viele Gelbsperren durch übertriebene Theatralik der Offensivspieler zustande kommen. Ein Problem, dass man einfach lösen könnte, in dem man jede Verwarnung hinterher nochmal durchleuchtet und guckt, ob sie angemessen war. Und sogar ohne die Tatsachenentscheidung direkt zu untergraben, denn für den Rest des Spielst bleibst du ja verwarnt. Gestrichen wird das ganze erst nach 90 Minuten.
Was auch nicht absolut Fair ist, aber... nun ja... besser als der Status Quo...

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