Dienstag, 10. November 2015

Wisst ihr, was das Sommermärchen wirklich zerstört?

Das war ja ursprünglich Wolfgang Niersbach's größte Sorge...

Nicht dieser im großen und ganzen (wir reden vom Milliardengeschäft Fußball) lächerliche Betrag von 6,7 Millionen (andere Bewerber werden an anderen Stellen bestimmt ähnliche Summen ausgeschüttet haben...)
Nicht, dass jetzt das Image des Kaisers beschmutzt wird... das ist ein schöner Nebeneffekt, das ich den Experten Franz Beckenbauer auf den Tod nicht abkann...
Nicht, dass der Präsident zurücktreten muss...

Nein... unser Sommermärchen wird an ganz anderer Stelle zerstört.

Ich war mein ganzes Leben lang ein Mensch, der zwar unter der Deutschland-Fahne lebt (und das auch gerne), der sich aber immer unwohl gefühlt hat, wenn diese Fahne offen gezeigt worden ist. Um den völlig unbekannten Lea Won zu zitieren: "Schwarz Rot Gold reimt sich immer noch im Hinterkopf auf Harkenkreuz."
Und ja, das ist auch nicht ganz fair.. aber in unserer Geschichte hing Nationalstolz und Nationalsozialismus viel zu lange viel zu eng zusammen. Und ja, es waren offiziell nur 12 Jahre, aber trotzdem viel zu lang...
Dazu kommt halt, dass ich auf einen Dorf groß geworden bin. Und dort gab es nur eine sehr kleine Gruppe, die stolz auf ihr Land war... eine Gruppe mit der man lieber nichts zu tun haben wollte...

Vor allen Dingen habe ich es nie eingehen, dass ich für diese Gurkentruppe sein muss, nur weil ich zufällig in dem selben Land geboren bin wie die wie immerhin der eine oder andere in der Startelf.
Und ja, ich fing 1996 an, Fußball zu gucken... und von 98 bis 2004 haben wir nur Gurkentruppen gestellt... die dann noch bei Weltmeisterschaften irgendwie immer viel zu weit gekommen sind...

Und plötzlich... kam 2006. Ich war damals noch frisch in Leipzig, hatte also das Glück in einem WM-Spielort zu leben und ein Spiel im Stadion zu sehen. Und die Stimmung aufzusaugen.
Das faszinierendste: Die Deutschlandfahnen gehörten zu dieser Stimmung. Ohne die hätte es nicht funktioniert. Vor allem: Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich durch all die Deutschlandfahnen nicht bedroht. Ich konnte als einziger mit einem breiten Grinsen durch die Stadt laufen, weil ich diesen Pirlo-Pass (als wahrscheinlich einziger Deutscher) total genial fand. Und die 2 Kopfballduelle die Cannavaro hinterher holt, auch...

Dass dieses "Die Welt zu Gast bei Freunden" Konzept funktionieren würde... war vorher in der Form nicht abzusehen. Schließlich ist noch vor der WM vor "No Go Areas", aus denen sich die internationalen Fußballfans lieber fern halten sollten, berichtet worden. Und zum ersten Mal seit gefühlt Johann Wolfgang von Goethe (hey, meine erste Goethe Referenz... auch ne Leistung) stolz darauf sein, wie wir uns präsentieren...

Und es gab da sogar einen gewissen Langzeiteffekt... Dass das Spiel Deutschland - Türkei 2 Jahre später bei der EM zu einem großen integrativen Volksfest wurde... Und ja, dass sich dein Döner um die Ecke mit türkischen UND deutschen Fahnen schmücken würde, war vor 2006 kaum vorstellbar...

Geht einfach mal in euch: Wie viele in Deutschland geborene Türken haben sich vor 2006 für den Adler auf der Brust entschieden? Danach hatten wir Serdar Tasci, Mesut Özil und Ilkay Gündogan... diese Jungs waren 2006 16 Jahre alt... Auf die wird dieses Stimmung auch einen Einfluss gehabt haben.

Steigen wir in den Delorean... Stellen wir das Datum auf den 9.11.2015... und steigen wir am Augustusplatz aus... was sehen wir? Eine "Die Welt soll sich bitte aus unserem schönen Land verpissen" Demo.
Es werden wieder Deutschlandfahnen geschwungen. Nur diese wirken so bedrohlich, wie lange nicht mehr.
Und einer Welt, die dringender als je zu vor unsere Hilfe benötigen würde, zeigen wir denen die hässliche Fratze des Nationalismus.

Die WM 2006 hat es geschafft, dass Deutschlandfahnen und Nationalstolz in Deutschland (mit unserer ganzen Geschichte) nicht mehr nur negativ gesehen wurden. Deswegen ist es ja ein Märchen... nicht weil die Deutsche Nationalmannschaft so abgeschnitten hat, wie sie halt bei einer WM fast immer abgeschnitten hat. Sondern weil wir das ganz anders gefeiert haben, als man das von uns gewohnt ist.
Jetzt kommen diese Legida und Pegida Typen und drehen die Zeit zurück... DAS zerstört unser Sommermärchen.

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