Montag, 23. März 2015

Was hat euch weniger überrascht?

 Dass Manuel Neuer (laut Kicker zum 4. Mal) gegen Borussia Mönchengladbach patzte, oder dass der Hamburger SV seinen Trainer entlassen hat? Kann es sogar einen Zusammenhang geben? Also dass der HSV immer, wenn Manuel Neuer patzt, seinen Trainer entlässt... kurz nachgerechnet... das kann nicht passen, denn so oft patzt Manuel Neuer nicht...

Was aber am wenigsten überrascht... ist doch die Tatsache, dass der HSV natürlich keinen Plan in der Schublade hat...
 Zunächst mal ist mir bewusst, dass ein echter Experte nicht im Nachhinein darauf hinweisen muss, dass er das schon vorher gesagt hat... aber hey, dass Joe Zinnbauer wahrscheinlich vor Vitkor Skripnik entlassen werden wird, habe ich schon Ende November geschrieben... Damals war der allgemeine Tenor, dass Zinnbauer der große aufgehende Stern ist und Skripnik eher eine Notlösung... völlig überraschender Weise wusste Werder genau, was sie taten, als sie einen in 16 Jahren im Verein aktiven Mitmenschen zum Chef-Trainer beförderten. Und genau so wenig überrascht es, dass Zinnbauer nach 8 Siegen in der 2. Mannschaft doch (noch) nicht zu höheren berufen ist.

Und Zinnbauer mache ich da gar keinen Vorwurf. Der ist halt quasi ein Trainer-Azubi. Solche jungen und aufstrebenden Talente in der 2. Mannschaft zu parken und sich über Jahre entwickeln zu lassen, ist perspektivisch das Cleverste, was man machen kann... aber man sollte die Leute da vielleicht erst Mal ein Jahr oder länger bei der täglichen Arbeit beobachten... damit man als Verein auch sehen kann wie die Leute arbeiten, wenn es gerade nicht gut läuft. Und ob er es schafft, auf die Probleme, die eine lange Saison so mit sich bringt, zu lösen... zum Beispiel der Fakt, dass Leistungsträger aus körperlichen oder psychischen Tiefs geholt werden müssen... und genau das ist Zinnbauer bei Pierre-Michel Lasogga und Rafael van der Vaart nicht geglückt.

Und jetzt kommt mir nicht mit "Ja, aber bei Thomas Tuchel hat es doch auch funktioniert." Nein, hat es nicht... natürlich wirkt ein Tuchel immer noch verdammt jung. Aber bevor der in Mainz Cheftrainer wurde, hat er 9 Jahre lang im profi-nahen Umfeld erfolgreich gearbeitet. In Stuttgarts (nachweislich hervorragender) Jugendabteilung, Augsburgs Reserve und der Mainzer Jugend. In diesen 9 Jahren konnte man durchaus erkennen, ob Tuchel ein auch auf höherem Niveau brauchbarer Trainer ist. Wahrscheinlich wurde er sogar mit dem Versprechen "wenn wir mal wieder einen Cheftrainer brauchen, bist du unser erster Ansprechpartner" zum Posten des U-19 Coaches gelockt... Vorstellbar ist es auf jeden Fall... und verwerflich wäre es auch nicht.

Vor 9 Jahren war Zinnbauer noch Trainer beim VfB Oldenburg. Und ganz ehrlich: wer von euch könnte aus dem Kopf sagen, auf welchem Niveau Oldenburg spielt? Wenn es euch interessiert: Zinnbauer kämpfte bis 2010 um den Aufstieg in die viertklassige Regionalliga...

Ein eher passender Vergleich ist da schon eher sein ehemaliger Mitspieler Jürgen Klopp, der von heute auf morgen vom Spieler zum Cheftrainer befördert worden ist... Aber Kloppo war vor dieser ungewöhnlichen Entscheidung schon 11 Jahre im Verein. Die suchten quasi nach einem Nachfolger für den vielleicht am meisten unterschätzten Taktischen Erfinder namens Wolfgang Frank. Klopp nennt den nicht um sonst seinen "Lehrmeister"... Da fragte man sich in Mainz: "Wer hat das, was Frank uns damals beigebracht hat, am besten verstanden? Klopp? Oder doch Thorsten Lieberknecht? Hey, erinnert ihr euch noch an den Zinnbauer, könnte der das nicht auch?" (Ernsthaft, wenn ihr später mal Bundesligatrainer werden wolltet, obwohl es dafür als Spieler nie gereicht habt, müsst ihr quasi mindestens ein Jahr unter Frank gearbeitet haben... krass, wie viele Trainer der auf ihrem Weg beeinflusst hat... und vor allem: Wie konnte der eigentlich nie Angebot aus der Bundesliga bekommen?) Und am Ende hat man sich für Klopp entschieden... aber man wusste halt auch nach 11 Jahren genau, was für einen Typen man da bekommt.

Vor allem: Klopp ist ein Jahrhunderttalent unter den Trainern. So einen bekommt man wahrscheinlich nur ein Mal in einer Generation zu sehen. Ernsthaft, der hat von heute auf morgen den Sprung vom Abwehrspieler, der auf Augenhöhe mit seinem Mitspielern stand, zu deren direkten Vorgesetzten gemeistert. Und das, obwohl alles wussten, dass er definitiv einer der schlechteren Fußballer in dem Kader ist. So etwas wird man nicht wieder finden.
Vor allem: Mainz stand im Abstiegskampf... und Klopp war da als Abwehrchef durchaus dran beteiligt... Stellt euch einfach vor, Heiko Westermann würde morgen zum Trainer vom HSV befördert werden... da könnte Westermann noch so viel Ahnung von Taktik haben, die allgemeine Reaktion seiner ehemaligen Mitspieler wäre ein "Ach, komm, hör auf, du kannst das doch selber nicht besser..."

Klopps Weg zu kopieren ist unmöglich. Und zu erwarten, dass das funktioniert, ist naiv... Aber hat Hamburg genau das gemacht...

 Das ist, als würde ich von einem Offensivspieler aus der Barcelona Jugend erwarten, dass er sich da in der ersten Mannschaft mit 18 durchsetzt und Schlüsselspieler wird... Lionel Messi konnte das schließlich auch. Und wenn das Talent nicht mit spätestens 19 den Durchbruch geschafft hat, ist es komplett unbrauchbar und sollte am besten seine Karriere beenden... Viel wahrscheinlicher ist es aber, dass das Talent erst mal woanders weitergebildet werden muss und noch einiges an Zeit braucht, bevor es sich auf aller höchstem Niveau durchsetzen kann...

Aber zurück zum Plan: Hamburg hat es wirklich geschafft, einen richtig guten in der Schublade zu haben. Also einen, der so absurd ist, dass ich da in meinen wildesten Träumen nicht drauf gekommen wäre: Der neue Cheftrainer "bis auf weiteres"... ist Peter Knäbel... und der hat noch weniger praktische Erfahrung als Zinnbauer...
Jetzt kommt's: Michael Oenning wäre eine bessere Option als Knäbel... vor allem, weil Knäbel eigentlich als "Direktor Profifußball" ein anderes Aufgabenfeld (nämlich die ach so wichtige langfristige Ausrichtung des Vereins) hat... Er ist quasi derjenige, der im schlimmsten Fall den Neuaufbau in Liga 2 organisieren muss... und ja, Knäbel kam noch nach Joe Zinnbauer, man kann ihm die Misere also kaum vorwerfen... Aber wie er das Gesicht des Neuanfangs werden soll, wenn er den ersten Abstieg in der Vereinsgeschichte als Cheftrainer zu verantworten hat...
 Und ja, Hamburg denkt sich gerade: Hey, nur weil die Idee das erste Mal nicht geklappt hat, muss sie ja das 2. Mal nicht zwingend schlechter sein...

Ernsthaft... kam niemand auf die Idee mal bei Jens Keller oder Alexander Zorniger anzurufen? Aber die würden ja eine Anstellung über den Sommer hinaus haben wollen... und da wartet man doch lieber auf Thomas Tuchel...

Viel wichtiger... warum sollte Tuchel sich das antun... Er wird demnächst (wenn auf Schalke das nächste Mal ein Trainer entlassen wird... und wie lange kann das schon dauern) ein wesentlich besseres Angebot bekommen. Und auch, wenn er vielleicht 1 Jahr lang arbeitslos sein wird... sein Ruf ist so hervorragend, dass er bei jeder Trainerentlassung nicht nur im Gespräch sein wird... sondern sofort die erste Option ist. Sobald Tuchel sagt "Ich will den Job", werden alle anderen Bewerber zurückgestellt werden... Und das werden die sogar einsehen...
Was wiederum dazu führt, dass Tuchels nächster Arbeitgeber ganz klar das Ziel "Europa Cup" vor Augen haben muss... Und Hamburg steht vor 3 oder 4 Jahren des Neuaufbaus. Die müssen erst Mal froh sein, wenn sie das "Niemandsland" erreichen. Oder glaubt irgendjemand, dass in Hamburg schlagartig alles besser wird, weil die groß-verdienenden Versager ablösefrei den Verein verlassen? Die sind zum größten Teil nur deswegen noch da, weil die Hamburger es nie geschafft haben, bessere Leute zu verpflichten... jetzt soll ihnen das ohne neues Geld gelingen?

Warum sollte Tuchel, der am Ende keinen Bock mehr auf das Mainzer Mittelmaß hatte, sich mit schlechteren Voraussetzungen in Hamburg zufrieden geben? Und: Wenn er den HSV wirklich als "den Schlafenden Riesen" betrachten würde, würde er dann nicht nach Möglichkeiten suchen, den Verein schon jetzt zu übernehmen... um den sonst viel zu wahrscheinlichen Abstieg zu verhindern?

Aber hey, vielleicht will Tuchel ja allen beweisen, dass er sogar unter schwierigsten Umständen Erfolge liefern kann... das scheint zumindest die eine Karte zu sein, auf die der HSV alles setzt... Das ist kein Plan, das ist pure Verzweiflung...

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